Dazulernen 4 - Massenproduktion SpäMi-Edition

Reden wir mal über Zahlen.

Insbesondere über die Zahlen von Pilgern und Pilgerzeichen. Evtl auch mal über die Anzahl der profanen badges.
Pilgerzeichen waren ein Massenprodukt. Ganz schlicht. Sie wurden in vielen Fällen zu hunderten hergestellt, in manchen Fällen auch zu tausenden. Jährlich. Was auch nicht verwunderlich ist. Man geht davon aus, dass zu manchen Zeiten bis zu 500.000 Menschen jährlich auf Pilgerfahrt gingen. Ich selbst war von dieser Zahl erst einmal überrascht. In einem Europa in dem im 14. und 15. Jahrhundert gerade mal 50-70 Millionen Menschen leben, ist das echt viel! Hochgerechnet auf heutige Zahlen (die EU hat Stand 2020 ca 450 Millionen Einwohner) ist das so als würden sich 4-4,5 Millionen Menschen jährlich auf Schusters Rappen machen! Und das lange vor Automobil, Eisenbahn und Flugzeug. Das wäre in etwa vergleichbar mit der heutigen Reisebewegung in den Ferien.

Aber Moment Mal! Hat nicht der Großteil der Menschen im Mittelalter nur das eigene Dorf und vielleicht noch die nahe Umgebung gekannt ? Dazu kann man ein ganz klares Jein sagen. Für viele Menschen mag das zutreffen. Dennoch ist besonders im Spätmittelalter zum einen die Notwendigkeit hoch, die eigene Seele zu erretten und zum anderen steigt auch die Mobilität auch der unteren Gesellschaftsschichten. Mit dem Ende der großen Pestwelle um 1350 sind viele Landstriche entvälkert. Siedlungen werden verlassen (sog. Wüstungen entstehen) und Arbeitskräfte sind in manchen Bereichen schwer zu bekommen. Und wie immer in solchen Situationen, profitiert davon auch die einfache Bevälkerung: Wo Arbeitskräfte im Mangel sind, da steigen die Lähne. Dieser Umbruch machte eine Pilgerfahrt auf für Geringverdiener unter Umständen machbar. Zudem organisierte sich das Pilgerwesen, was die Kosten und das Risiko einer Pilgerfahrt vermutlich senkte. Es entstanden mehr und mehr Pilgerherbergen, in denen Pilger u.U. kostenlos unterkamen. Zölle entfielen bisweilen für Pilger etc. Und um sich als Pilger auszuweisen musste man sich einen Pilgerbrief bei der eigenen Pfarrei besorgen. Wer mehr darüber wissen mächte, sollte sich die Artikel von HistoFaber, insbesondere der Unterkategorie "sionpilger" ansehen.

All diese Umstände führten dazu, dass Pilgern zu einem Massenphänomen wurde und die am Pilgerort ausgegebenen Pilgerzeichen wurden dadurch zur Massenware.

Aber was bedeutet das jetzt in Zahlen ? Dazu gibt es ein paar schöne Quellen:

Es handelt sich dabei natürlich erstmal nur um Zahlen aus den gräßeren Pilgerorten, gerade was Stromberg oder Einsiedeln angeht. Aber auch aus kleineren Pilgerorten sind jährlich mehrere hundert oder mehr Pilgerzeichen genannt. Man kann aber auch schön sehen, wie die Zahlen selbst zwischen den "Pilger-Hotspots" Einsiedeln variieren. Stromberg könnte man in der Mitte ansiedeln.

Leider kennen wir aus Aachen zu Zeiten der großen Heiligtumsweisung keine Zahlen. Seit 1349 werden dort alle 7 Jahre heilige Gewandreliquien gezeigt,(das nächste mal im Juni 2021). Von dort wissen wir aber, dass zur Zeit der Weisung jeder seine Zeichen verkaufen durfte. So steht Gutenbergs erste Pleite aus seiner Straßburger Zeit mit Wallfahrtszeichen für die Heiligtumsweisung 1439 im Zusammenhang. Auf Grund der Pest wurde die Weisung erst 1440 durchgeführt und Gutenberg ging Pleite.

Obwohl in den meisten Wallfahrtsorten nur bestimmte Zünfte oder Kirchenvertreter die Zeichen herstellen und nur bestimmte Kirchen/Konvente die Zeichen verkaufen durften, ist für Aachen zur Zeit der Heiligtumsweisung jeder berechtigt seine Zeichen herzustellen und zu verkaufen. Es ist auch bekannt, dass bestimmte Konvente oder Kirchen das exklusive Recht besaßen, die Pilgerzeichen an den Schrein zu halten und damit zu "heiligen". In der Vorstellung der Gläubigen nahm das Pilgerzeichen damit einen Teil der Heiligkeit des Schreins auf.

Auch zum Preis der Pilgerzeichen gibt es eine Quelle: im Jahre 1441 kosteten demnach die Pilgerzeichen aus Bad Wilsnack 1 Pfennig. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse wäre das etwa ein Preis von 3-8 oder etwa ein Dreißigstel eines Tagelohns eines Handwerksgesellen. Damals wie heute also durchaus erschwinglich, auch für den kleineren Geldbeutel. Für Interessierte, zwei Gussmodeln werden im Jahre 1492 (in Gottloch) für 22 Schilling verkauft. Ein Schilling sind 12 Pfennige, im Spätmittelalter verdiente ein Handwerksmeister zwischen 4 und 6 Gulden im Monat (80-120 Schillinge=960-1440 Pfennige).

Da dies aber nur einzelne Quellen sind, die vom Wert in einem bestimmten Jahr und an einem bestimmten Ort gezahlt wurden, sollte man die Zahlen mit einiger Vorsicht betrachten. Es mag hier sicherlich große Unterscheide geben. Für Aachen zum Beispiel müssen wir wegen des freien Verkaufs von viel Konkurrenz ausgehen. Das mag den Preis dort gedrückt haben, wohingegen eine Monopolstellung und die Attraktivität des Pilgerortes den Preis erhöht haben mägen.

Generell kann man jedoch davon ausgehen, dass die Pilgerzeichen nicht allzu teuer gewesen sein dürften.


Quellen:


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