Dazulernen 5 - Grilldödel und jagende Muschis

Reden wir mal über Sex.

Grilldödel

Abb 1: Phallus über Vulvafeuer, undatiert, 20x25mm, K14280

Und nun meine ich mal nicht den Akt oder die Psychologie. Hier soll es einmal über die erotischen, obszönen oder bawdy badges gehen.
Zunächst einmal ein Appell an all die Reenactors, LH-Leute, Mittelalterfans und "Marktleute", die ein solches Zeichen tragen:
Euch allen sollte klar sein, dass diese Abzeichen aller Erkenntnis nach niemals dauerhaft getragen wurden.
Fast alle Zeichen haben eine Befestigungsnadel angegossen. Im Gegensatz zu den Pilgerzeichen, die fast alle mit Nähösen versehen sind. Der Unterschied ist, dass die einen angenäht werden und daher dauerhafter an der Kleidung verbleiben, während die meisten profanen badges - zu diesen zählen auch die anrüchigen - nur zeitweise getragen wurden. Evtl muss man sich das wie Fanschals oder Vereinsabzeichen vorstellen. Im Stadion ist der Fanschal ein Muss, aber nur die wenigsten schleppen den immer mit sich herum. So ähnlich mag es sich mit den profanen badges begeben haben. Zudem sind diese Abzeichen nichts für eine Darstellung in Deutschland. Die badges sind ausschliesslich im heutigen Frankreich und - in geringerer Menge - in Holland und Großbritannien gefunden worden. Für das deutsche Reichsgebiet gibt es so gut wie keine Funde.

Aber kommen wir zu den erotischen Zeichen an sich. Und hier gleich vorweg: wir begeben uns in vielerlei Hinsicht auf "schlüpfriges Terrain". Bisher gibt es keine gesicherten Aussagen darüber, warum die Zeichen getragen wurden, selbst gestandene Fachleute auf dem Gebiet der Zinnzeichen bewerfen sich da mit diversen Theorien und nur über eines ist man sich ganz sicher:
Es gab sie.

Das gibt uns viel Spielraum für die Bedeutung der bawdy badges
Allerdings muss hier auch gesagt werden, dass mit ziemlicher Sicherheit die Bildsprache der Zeichen nicht erotisch oder gar pornografisch von mittelalterlichen Menschen aufgenommen worden ist. Anstößig vielleicht, nicht jedoch so erotisierend, wie es ein heutiger Betrachter tun würde.

Welche Theorien werden hier also gehandelt?

Als erstes kommt von Historikern dazu immer: "apotropäisch!" Historiker scheinen diesen Begriff zu lieben. Für uns Laien bedeutet es lediglich: "Zur Abwehr von Bösem". Die Begründung rangiert übrigens gleich hinter "Kultisch!" Ich halte die Deutung apotropäisch zwar für möglich, finde es aber merkwürdig, dass es da nur erotische Zeichen dafür gibt. Dämonenfratzen und Fabelwesen finden sich in der Fundmasse eigentlich nicht. Und warum finden sich dann auf unseren gotischen Kirchen nicht haufenweise solche Darstellungen?

Weitere Deutungen für diese Zeichen sagen, es handele sich um Verballhornungen echter Pilgerzeichen. Oder vielmehr, sie sollen die echten Pilger verulken. Immerhin gibt es einige Pilgerzeichen, die das Pilgerwesen auf die Schippe nehmen. Ein klappbares Zeichen, dass auf der einen Seite ein Pilger zeigt. Erkennbar an der Pilgertasche, der Mütze und Stab. Auf der anderen Seite hingegen hält der lieber Pilger sein Gemächt fest und lächelt selig (Abb 3). Eine ganz Reihe anderer Zeichen zeigt eine Vulva mit eindeutigen Zeichen eines Pilger: Pilgermütze, Rosenkranz, Pilgerstab. Präkeres Detail: der Pilgerstab ist mit einem Phallus bekrönt. Es ist also gut mäglich, dass diese erotischen Zeichen tatsächlich das Pilgerwesen denunzieren sollten.

Dödelpilger

Abb 3: Klappzeichen Pilger mit Gemächt in der Hand, 1. Hälfte 14. Jh, 38x21mm, K11347

Möglich wäre auch, dass die erotischen Zeichen eine tiefere Bedeutung hatten, sofern ein Pilger sie trug. Möglicherweise sollten sie anderen Pilgern zeigen, dass man doch nicht nur fürs Seelen-Heil pilgert und durchaus für erotische Abenteuer verfügbar wäre.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass es sich um ein Zeichen für Huren handeln kännte. Zinn/Blei-Zeichen sind günstig und einfach hergestellt. Vielleicht dienten Sie als eine Art Kennzeichnung oder Steuerabzeichen. Das könnte auch erklären, warum man so viele davon in Flüssen gefunden hat. Werden sie nicht mehr benötigt, hat man sie einfach weggeworfen.

Ein weitere Deutung geht etwas tiefer:
Fastnachtsbrauchtum. Da passt es meiner Meinung nach besser. Es gibt berichte, dass zur Fastnacht mit Penissen geschmückte Bäume auf Rädern durch die Stadt gezogen wurden. Das passt verdammt gut auf einige der bawdy badges
Überhaupt zeigen auffallend viele dieser Zeichen zeigen bewegliche Genitalien. Möglicherweise stellen sie auch lediglich männlich und weiblich dar. So wie wir heute den Venusspiegel (♀) und den Marsspeer (♂) für männlich und weiblich benutzen. Zumindest in der mittelalterlichen Literatur tauchen bewegliche Genitalien häufiger auf. Es gibt hier diverse Geschichten in denen die Vulva oder der Penis seinen Träger verlässt, um die Welt auf eigene Faust zu erleben. Das Bild der wandernden Vulva oder des wandernden Penis ist also gar nicht so abwegig für einen mittelalterlichen Menschen.

Aber noch etwas fällt auf:
Zeigen die Zeichen nur ein Geschlecht, sind sie beide beweglich. Mit Beinen und/oder Flügeln. Aber sind beide auf einem Zeichen, wird zumindest der Phallus immobil und passiv. Dann ist die Vulva das aktive und mobile Element. Da pflücken Frauen Penisse vom Baum (Abb 4), es grillen Vulvas Penisse am Spieß (Abb1), die besagte pilgernde Vulva trägt eine penisgekrönten Stab mit sich herum. Das muss ein großer Schock für die Franzosen gewesen sein, die die ersten dieser Zeichen im 19. Jh. aus der Seine gezogen haben: Die Krone der Schöpfung, der Mann, unterjocht von weiblichen Genitalien ! Die Zeichen zeigen also mäglicherweise, dass Mann gar nicht so viel im Haus und besonders im Bett zu sagen hatte, wie Mann gemeinhin annimmt.

Ein letztes Wort soll hier noch auf den Anteil der Zeichen verloren werden:
Inzwischen sind in ganz Europa viele tausend Zinnzeichen gefunden worden. Der größte Teil sind Pilgerzeichen oder solche, die der christlichen Verehrung zugeordnet werden müssen. Von den übrigen Zinnzeichen, die bis heute gefunden worden sind, nehmen die erotischen in etwa einen Anteil von einem Drittel ein. Wir sehen, dass die Zeichen durchaus ein häufig anzutreffendes Phänomen sind. Besonders im Hinblick darauf, dass der Anteil der profanen Abzeichen im Bereich des Heiligen Römisches Reiches nochmals deutlich geringer ausfällt. Im bisher größten zusammenhängenden Fundkomplex auf deutschem Gebiet aus Stade (etwas über 200 Abzeichen) sind 90% der Zeichen Pilgerzeichen, nur 10% sind profane Zeichen und erotische fehlen in diesem Komplex ganz.

Und damit möchte ich abschliessend den Bogen zum Anfang schlagen:
Die erotischen Zeichen sind ein nicht unbedeutender Teil der gefundenen Zinnabzeichen. Aber für eine deutsche Darstellung, sofern sie nicht eng mit Frankreich oder den Niederlanden in Verbindung steht, nicht oder nur schwer belegbar.


Quellen:


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